Mittwoch, 28. März 2018

Die intensivste Woche des Jahres

Langeweile kenne ich im beruflichen Alltag eher nicht. Nach den gut 16 Jahren am Hamburger Michel habe ich gelernt, damit zu leben, dass abends immer noch Arbeit auf dem (virtuellen und dem realen) Schreibtisch liegt wenn ich den Feierabend einläute. Was mich durch diese Dauer-Beanspruchung trägt, sind die Inhalte meiner Arbeit, die unerwarteten Erlebnisse und der Zuspruch, den ich von vielen Seiten erfahre.
Die Karwoche und die nachfolgenden Ostertage stellen für mich schon immer organisatorisch, in der Tätigkeit als Chorleiter der Kantorei und als Organist in Gottesdiensten und Konzerten eine Maximalanforderung im Jahreslauf dar.

Allein das Orgelrepertoire, das für die acht Tage zwischen Sonntag Palmarum und dem Ostermontag "wach" gehalten werden muss, ist spannend:

Johann Sebastian Bach (1685-1750)
  • Toccata et Fuga in d dorisch BWV 538 
  • Partite diverse sopra »Sei gegrüßet Jesu gütig« BWV 768
  • »Christ lag in Todesbanden« Orgelchoral und Chorsatz BWV 625
  • Toccata et Fuga d BWV 565 in einer romantischen Einrichtung
  • »O Lamm Gottes unschuldig« 3 Versus BWV 656
  • Piece d’Orgue BWV 572 
  • Bach/Alexandre Guilmant: Polonaise, Menuet et Badinerie BWV 1067
  •  Johann Sebastian Bach/Sigfrid Karg-Elert 
  • Air celebre BWV 106
  • Choral-Improvisation und Fuge  aus der Motette »Singet dem Herrn ein neues Lied« BWV 225h

  • César Franck:  Choral II h-Moll 
  • Felix Mendelssohn Bartholdy: 3 Präludien und Fugen c-Moll, G-Dur und d-Moll op. 37
Dazu für diverse Gottesdienste
  • Händel: Orgelkonzerte op. 4: g-Moll (Adagio und Andante) und B-Dur
  • Gigout: Toccata h-Moll
  • Brahms: Choralvorspiele "O Welt, ich muss dich lassen" und "Herzlich tut mich verlangen"
Dazu kamen für die Trauerfeier des NDR-Journalisten Jürgen Heuer am Freitag vor Palmarum die Wünsche nach Improvisationen über den letzten Satz von Brahms 1. Sinfonie und ein in der Vorbereitung zeitraubendes Arrangement von Joe Cockers: Unchain my heart.

Die täglichen Mittagsandachten und die Passionsandachten sind hier eher keine Belastung, weil sie helfen, das in den Gottesdiensten und Konzerten benötigte Repertoire "in kleinen Häppchen" bereits öffentlich zu spielen. Je nach Thematik der Andacht kommen Improvisationen dazu.

Neben der Trauerfeier für den mit 56 sehr früh verstorbenen Jürgen Heuer feierten wir eine weitere Trauerfeier für eine ehemalige MItarbeiterin des Kindertagesheimes. Tina Cassens war vor allem mit ihrer musikalischen Arbeit den Erzieherinnen und Eltern in Erinnerung geblieben. Bei der die Trauerfeier beschließenden Improvisation zu "I will follow him" (Ich habe das Stück oft mit meinem Soester Gospelchor Magnificats gesungen) sangen die ehemaligen Mitglieder des Elternchores spontan mit. Eine mir sehr nahe gehende Situation entstand. Tina Cassens schien durch ihre Musik unter uns zu sein.

MIt der Kantorei wurden zwei Werke, die ich 2009 und 2011 komponiert hatte für den Ostermontag und die spannenden "Sieben Worte des Erlösers" von Colin Mawby für den Karfreitag final geprobt.

Unser Musikbüro hatte die Programme für 6 Gottesdienste und 3 Andachten zu erstellen, die nötigen Absprachen mit allen Mitwirkenden vorzunehmen und alles in der erforderlichen Anzahl zu vervielfältigen.

Während der knapp zweistündigen Probe für eine Telemann-Kantate für Mezzosopran, Bariton, zwei Blockflöten und Orgel (Gründonnerstag) waren gleichzeitig zwei Schulklassen unserer Michel-Entdecker in der Kirche. Es ist wunderbar, dass pro Jahr viele Hundert Hamburger Schulkinder unter fachkundiger Betreuung den Michel und seine Ausstattungsgegenstände kennenlernen.

In der täglichen Mittagsandacht erleben Hamburger wie Touristen unsere Kirche als Gottesdienstraum mit Andacht und Orgelspiel. Die sieben Glockenschläge - gleichzeitig außen von der Friedensglocke im Turm und innen aus der großen Orgel per Röhrenglocke - zeugen vom täglich gebeteten Vaterunser.

Die Stadt ist voll, das Wetter war heute, am Mittwoch, besonders schlecht. Nachdem ich mit meinem Fahrrad bei 2 Grad und Schneeregen nach Hause geradelt war, hörte ich meinen Sohn Malte mit einem Freund im Wohnzimmer laut sprechen. Was ich hörte, war nicht typisch für einen Sechzehnjährigen. "Als nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: ....." Da war ich wieder mitten in der Karwoche angekommen. Malte trainierte seine Lesung für den Karfreitagsgottesdienst in der heimischen Luruper Auferstehungskirche. Kaum war ich im Haus, die nasse Regenhose noch an, verließ er unsere Wohnung, um zu meiner Frau Anne und ihrem Chor zu fahren. Dort wurde die musikalisch ausgestaltete Lesung der Passionsgeschichte für Karfreitag geprobt.

Ein reiches Leben.
Ich mag das so!